Hallo Axel,
eigentlich bin ich im Modellstraßenbahnbau 1:87 beheimatet. Schwerpunkt ist dort der süddeutsche und speziell der Stuttgarter Raum (meine frühere Heimat). Damit ein Modell eine Chance auf Umsetzung hat, brauche ich entweder einen persönlichen Bezug zum Vorbild (Region, persönliche Erinnerungen etc.) oder eine besondere konstruktive Herausforderung (viele Typen gelten bei Modellstraßenbahnern als "nicht umsetzbar").
Modellstraßenbahnen sind Segen und Fluch zugleich. Segen, weil die Modelle klein und, gerade bei Nachkriegsmodellen, detailarm sind. Die konstruktiven Hauptherausforderungen sind meist die runden Formen von Karosserie und Tonnendächern, die einen sicheren Umgang mit Freiformen erfordern, und gelegentlich exotische Antriebskonzepte, wie Lenkdreiachser, für die es keine Industriekomponenten gibt. Fluch ist die meist äußerst bescheidene Dokumentenlage. Originalpläne sind, sofern überhaupt noch welche exisitieren, nur schwer zu bekommen und die Zeichnungen in den diversen Publikationen weisen fast immer einen hohen Grad an künstlerischer Freiheit auf und sind somit für eine Modellgrundlage nur äußerst eingeschränkt zu gebrauchen. Im Laufe der Zeit habe ich daher ein gutes Auge entwickelt, um Fotos zu interpretieren und Detailmaße daraus zu rekonstruieren.
Zur Eisenbahn kam ich "scheibchenweise". Erstes Vollbahnmodell war eine "Straßenbahn"-Güterlok der Filderbahn (zu sehen im zweiten Bild von oben), dann habe ich der Roco V65 ein MaK-D1000-Gehäuse, so wie es auf der Filderbahn im Einsatz war, verpasst.
Bei den WEG-Modellen hat mich dann ein Hobbykollege angefixt ("wäre das nicht mal ein interessantes Modell?" - für mich als Nord-Stuttgarter fast eine rhetorische Frage), und das neu erschienene Buch "Neoplan auf Schienen" hat mir dann den Rest gegeben.
Die Baugruppen-Struktur orientiert sich derzeit noch stark an der übersichtlichen Struktur von Straßenbahnen: Dach, Karosserie, Chassis, Inneneinrichtung (meist nur ein Teil), Fahrgestell. Die Komplexität von Eisenbahnen ist aber um einiges höher, insbesondere bei den (bei Straßenbahnen nicht sichtbaren) Aggregaten im Unterbau. Hier fehlen mir oft die Kenntnisse, welchen Zweck welches Aggregat hat, aber zum Glück habe ich einen hilfsbereiten Kreis von Vorbildkennern, die mit kritischem Auge über meine Zeichnungen schauen. Hier werde ich zukünftig in der Zeichnung tiefer differenzieren müssen, um den Überblick zu behalten.
Bei der Umsetzung (ich arbeite mit TurboCAD Professional) starte ich meist mit mit der Karosserie bis Dachkante. Ich beginne mit einem Klotz mit entsprechenden Aussenabmessungen, der nach und nach in Form gebracht wird - Abschrägungen (z.B. des Fensterbands), "Aushöhlen", Fensteröffnungen, Rundungen etc. Mit den allseits beliebten Extrusionen (aus einer 2D-Zeichnung durch "in-die-Höhe-ziehen" ein 3D-Modell machen) arbeite ich nur im Sonderfall, da ich eh meist keinen brauchbaren Grundriss habe. Im Fokus steht dabei immer gleich die modelltechnische Umsetzbarkeit und Druckbarkeit - Wandstärken, Hinterschneidungen, Details... Daher arbeite ich auch grundätzlich im Zielmaßstab, also 1:87.
Der nächste Schritt ist die Konstruktion des Chassis um den zugekauften Antrieb herum, dann das Dach (was wegen der komplexen Rundungen meist viel Zeit beansprucht), dann der ganze Rest wie Inneneinrichtung, Gehäusedetaillierungen, Achslager, Unterbodenaggregate etc.
Der letzte Schritt ist meist die Verglasung, die dann auf einer CNC-Fräse erstellt wird. Dazu erhält das Gehäuse entsprechende Taschen für ein passgenaues Einsetzen.
Generell versuche ich so wenig Einzelteile wie möglich zu erstellen, getreu der Devise: was nicht angeklebt ist, kann nicht abfallen. Das erfordert manchmal Kompromisse, erhöht aber die Betriebssicherheit und Haltbarkeit. bei Straßenbahnen komme ich so mit meist 5 - 10 Teilen für Chassis und Unterbau aus; beim Füchslein sind es trotzdem schon weit über 20...
Wenn möglich, vermeide ich zusätzliche Ätzteile oder kaufe sie zu (Weinert, AW Lingen). Die meisten Teile werden daher mit Stereolithografie gedruckt (kann ich selbst) oder im Einzelfall beauftragt (Sinterteile, SLS). Gelegentlich lasse ich auch besonders filigrane Teile in Messing schleudergießen. Nach Möglichkeit drucke ich selbst, da Fremdteile ein Modell noch teurer machen und Ätzteile die effiziente Montage bei Kleinserien häufig erschweren (und auch die Kosten treiben).
Uff, das war jetzt viel Text; hoffentlich habe ich damit niemanden abgeschreckt
Zum Abschluss noch ein Blick auf den noch nicht ganz fertigen T36 von unten (Screenshot), auf dem auch die Baugruppen- und Ebenenstruktur erkennbar sind.
Viele Grüße
Johannes