allo Friedrich,
da hast Du aber ein Riesen-Glück, weil ich mich in den letzten Wochen ziemlich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe, aber auch Pech, weil die Ergebnisse leider nicht so richtig eindeutig sind. Zunächst möchte ich mal meine praktischen Erfahrungen bei mir zu Hause schildern:
Ich fahre auf Radien bis hinab auf 1000 mm Puffer an Puffer. 1000-mm-Radien müssen aber einen Übergangsbogen vorgeschaltet bekommen. Ich habe ihm eine Länge von 400 mm gegönnt. Ab 1100 mm Radius brauche ich keinen Übergangsbogen mehr, verwende ihn aber auf der Strecke trotzdem, mit einer Länge von 300 mm. Es wird in Zukunft aber auch E- und DKWs 1:6 mit 1100 mm Radius (mehr geht nicht bei 1:6) geben und die haben nun mal keinen Übergangsbogen. Es laufen fast alle Wagen mit ihren maßstäblichen Pufferdurchmessern ohne Probleme, mit Ausnahme einiger 21 bis 22 m langer Reisezugwagen, denen ich statt der 450er 500er Puffer gegeben habe (das sind die aufzulötenden Pufferteller von Weinert).
Kritisch kann es bei Lokomotiven werden, sofern sie Laufradsätze haben. Würde die Lok wie gekauft eingesetzt, schwenkte die vordere Pufferbohle ziemlich weit nach bogenaußen, weil der erste führende Radsatz die erste Kuppelachse ist, oft noch mit viel Seitenspiel gelagert. Hier muss ich mindestens die ersten Vorlaufachse seitlich abfedern, damit sie der Lok auch in der Kurve die Richtung vorgeben kann. Es kann auch komplizierter werden und dann muss ich halt kreativ werden. Was die Sache erleichtert, ist, dass die Lok auch keine engeren Kurven als 1000 mm mehr schaffen muss.
Diese Art der Behandlung von Loks macht im Fremo so gut wie niemand. Man muss also quasi mit dem Schlimmsten rechnen. Bei den Wagen und den laufachsenlosen Loks gibt es diese Probleme nicht.
Nun zu den Gründen für die intensive Beschäftigung mit dem Thema "Überpuffern": in der Fremo-Gemeinde hört man bisweilen ein mehr oder weniger lautes Murren über die Betriebssicherheit bzw. Entgleisungsanfälligkeit von Wagen, die mit OBK ausgestattet sind. Die Wagen würden in engen Radien aus dem Gleis gehebelt. Wir wissen, dass diese Kupplung deswegen so zierlich geraten ist, weil mit ihr nur Zugkräfte übertragen werden müssen. Zur Aufnahme der Druckkräfte sind wie beim Vorbild die Seitenpuffer gedacht.
Nun gibt es bei H0-Europa immer noch einige Module, die noch nicht mal den Fremo-Mindestradius von 1000 mm einhalten, bisweilen werden solche sogar noch neu gebaut. Deshalb hat mir das Thema "Einsatzgrenzen für die OBK" keine Ruhe gelassen. Ich habe deshalb
mal gerechnet, wie man das beim Vorbild auch tun würde und bin so schließlich zu einer ziemlich umfangreichen Excel-Tabelle gekommen. Bei Einsatz der OBK kommt es darauf an, dass die Fahrzeuge nicht überpuffern können. Da die Fahrzeuge nicht haargenau in Gleismitte laufen, sondern dem Spurspiel unterliegen (nach NEM 0,3 bis 1,0 mm), erhielte man, wenn man konservativ (mit 1,0 mm Spurspiel und vollem Spießgang) rechnete, das Ergebnis, dass Überpuffern nur dann hundertprozentig ausgeschlossen werden kann. wenn man die gleichen Trassierungsparameter verwendet wie das Vorbild.
Wie im richtigen Konstrukteursleben auch kann man mit dem konservativen Ansatz eigentlich alles kaputtrechnen.
Da die praktische Erfahrung (s. o.) zeigt, dass man auch auf Radien bis herunter auf 1100 mm ohne Überpuffern Betrieb machen kann. Dafür werden die möglichen Spurspiele anscheinend kaum in Anspruch genommen, weil z. B. auch die Reibung zwischen den Puffern dem entgegen steht. Das würde den Tabellenspalten entsprechen, bei denen im Kopf "o. Querspiele" steht. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass der eine oder andere Modulübergang oder abrupte S-Kurve bei H0-Europa doch dazu Anlass gibt, einen gewissen Anteil des möglichen Spurspiels zu berücksichtigen. Dir traue ich aber schon zu, dass Du auf deiner Modulgruppe einen ordentlichen Gleisbau hin bekommst.
In der Hoffnung, eine einigermaßen realitätsnahe Annahme für das real auftretende Spurspiel gefunden zu haben, habe ich zunächst den Durchschnitt aller nach NEM definierten Fälle (Radrückenabstände, Spurkranzdicken und zulässige Spurweite) ermittelt und davon die Hälfte als realistisch angesetzt (Tabelle "Querspiele"). Der tatsächliche Einfluss der Querspiele ergibt sich dann noch aus aus der Geometrie der betrachteten Wagen (Quelle: Merkbuch Wagen 1950). Weiterhin ist von Bedeutung, ob S-Kurven zu durchfahren sind. Hier geht es vor allem um die Länge der Zwischengerade, die beim Vorbild mit mindestens 6 m Länge zu berücksichtigen ist. Der Einfluss der Zwischengeraden wird um so größer, je kleiner die Kurvenradien werden. Da es auch in den bestgeplanten Modularrangements vorkommt, dass zwei gegenläufige 2-m-Bögen aneinandergeschraubt werden, habe ich als kleinste Länge "0" angesetzt, dann 3 m, 6 m, 9 m und 12 m. Es ist auch ein "Bemessungsfahrzeug" als Widerpart zu den übrigen Wagen zu definieren. Ich habe mir den SS 15 ausgeguckt, weil er trotz seiner Länge als Drehgestellwagen mit den kleinen Puffern (370 mm Durchmesser) ausgestattet ist (siehe Tabelle "SKurve").
Um einen Vergleich mit der sonst beim Fremo empfohlenen seitlich fest gelegten Fleischmann-Bügelkupplung zu haben, habe ich noch einige weitere Spalten dafür eingebaut. Die Verhältnisse sind insofern anders als bei der OBK, als Überpuffern nicht vorkommen kann, weil diese Kupplung mit einer zentralen Prallplatte Zug- und Druckkraftübertragung in einem nicht lösbaren Bauelement vereint. Die Wagen werden eher aus dem Gleis gedrückt, ohne dass sich die Kupplung trennt, wenn das freie Querspiel in der Kupplung (Bügelweite 7,3 mm - 3,2 mm Hakenbreite = 4,1 mm freies Querspiel) und auch das noch vorhandene Spurspiel (mindestens 0,3 mm als zusätzliche Sicherheit) aufgebraucht sind.
Es ist klar, dass auch die feste Bügelkupplung ihre Einsatzgrenzen hat, die sich nicht so sehr von denen der OBK unterscheiden. Aber ein Überschreiten dieser Grenze wird erst bestraft, wenn auch noch das Spurspiel aufgebraucht ist.
Eigentlich hattest Du mir eine klare Frage gestellt. Wenn wir nur die Befahrbarkeit mit Wagen und Drehgestellloks betrachten, dann würde man wohl mit 1350 mm auskommen (den Wert habe ich etwas höher angesetzt, damit auch Wagen mit nicht maßstäblichen Puffern eine Chance haben). 1350 mm ist auch der Zweigradius einer Tillig-Weiche. Was die Vielfalt der Lokomotiven mit Laufachsen (im Fremo ist ja alles möglich) betrifft, hat man keine Möglichkeit, irgendwas zu berechnen. Gefühlsmäßig würde ich hier zu maßstäblich verkleinerten Originalradien tendieren - und die Zwischengeraden nicht vergessen! In der Excel-Tabelle kannst Du deren Bedeutung ermessen.
Nachdem ich mit der Tabelle fertig war, habe ich mich gefragt, wem kann die Tabelle am ehesten nutzen? Ich habe sie dann mit den obigen Erläuterungen an Michael Weinert geschickt und er wird sie bei Gelegenheit auf seiner Homepage zum Download einfügen. Es gibt eine Reihe anspruchsvoller Modellbahner, die die OBK auf ihrer Heimanlage verwenden möchten und die schon eine Hilfe brauchen können, bis zu welchen Radien die OBK mit welchen Wagen funktioniert, und welche bei festgelegter Bügelkupplung oder der Kurzkupplung bleiben müssen. Für diese Kategorie von Michaels Kundschaft könnte es schon hilfreich sein, die Excel-Datei als Rechenhilfe zu verwenden. Außerdem soll es auch Fremo-Mitglieder geben, die die Einsatzfähigkeit von OBK-Wagen realistisch beurteilen möchten.
Ein Teil des Textes ist eine Zweitverwertung; Du brauchst also kein schlechtes Gewissen haben.
Ich würde Dir gerne diese Tabelle auch zukommen lassen; am einfachsten wäre es für mich, Dir diese per E-Mail zu schicken. Deine Adresse habe ich aber noch nicht.
Gruß
Johannes