Hallo Otto,
das Wiederbeleben dieses Themas finde ich gut, auch weil ich in der Zwischenzeit für eines meiner Lokmodelle eine Lösung gefunden habe, die das von Dir aufgezeigte Ziel wenigstens teilweise erreicht. Begonnen hat das vor Jahrzehnten noch zu Analog-Zeiten mit einem Fahrpult aus englischer Produktion (digitol), mit dem man sowohl die Beschleunigung als auch die Bremsverzögerung stufenlos regeln konnte.
Die Decoder meiner Loks habe ich in der Folge über die CVs 3 und 4 immer mit einer fest eingestellten Beschleunigung und Verzögerung versehen. Mehr war nicht möglich, und es war letztlich eine Verschlechterung gegenüber dem Analog-Fahrpult. Die sonstigen Vorteile des Digitalbetriebs wie bessere Kontaktgabe durch konstante Gleisspannung, keine abschalt- oder umschaltbaren Gleisabschnitte mehr und Entfall der damit verbundenen Bedienungsfehler, die Nutzung von Sonderfunktionen und Fahrgeräuschen überwogen bei weitem.
Sehr hilfreich war dabei die die fremo-interne Entwicklung des Fred von Stefan und Martin. Für meine Begriffe ein Geburtsfehler war jedoch die Empfehlung einer direkten Geschwindigkeitsabhängigkeit von der Reglerstellung ohne im Decoder hinterlegte Beschleunigung und Verzögerung. In der Folge entwickelte sich leider eine Carrera-Bahn-mäßige Fahrweise, die mit Modellbahn recht wenig zu tun hat, insbesondere bei Rangierfahrten, was mir das Zuschauen ziemlich verleidet. Häufig gehörte Begründung: Der Fahrplan verlangt das; wir fahren mit Zeitverkürzung. Hier ist es halt wie im richtigen Leben: Der Fahrplanmacher verwendet die Zeitelemente, die tatsächlich gefahren werden und wenn dabei dreimal die zulässige Geschwindigkeit überschritten wird.
Seit ich digital fahre, bekommt jede Lok ihren eigenen Regler. Wenn man mit einem Beschleunigungwert nach CV 3 fahren will, sollte man wählen können, bei welcher Geschwindigkeit die Beschleunigung zu Ende sein soll. Das geht mit Geschwindigkeitsmarken auf dem Reglerknopf, deren Position mittel Tachowagen ermittelt worden ist. Und da jede Lok mechanisch anders ist, braucht man eben so viele Regler, wie man Loks betreiben will. Ein Vorteil der gezielten Beschleunigung: Sobald der Regler auf der Zielgeschwindigkeit steht, kann man die Position zur nächsten Buchse wechseln - die Beschleunigung läuft weiter. Wer braucht da noch einen Funkregler? Ein Nachteil der fest eingestellten Beschleunigung ist, dass man nicht zwischen Lokleerfahrt und schwerem Zug unterscheiden kann (das geht mit meinen Möglichkeiten allenfalls akustisch). Eine saubere Anfahrt mit direkter Regelung ist zwar machbar, erfordert aber sehr viel Konzentration und bei Buchsenwechsel wird die Beschleunigung unterbrochen.
Nun zum Bremsen. Auch hier habe ich bislang immer einen festen Wert in CV4 eingestellt, und zwar etwa 1 m Bremsweg aus 40 km/h. Bei niedrigeren oder höheren Geschwindigkeiten ergeben sich dann entsprechend kürzere oder längere Bremswege, die auch von Lok zu Lok verschieden sind. Damit der Gelegenheitslokführer trotzdem weiß, was ihn erwartet, bekommt der Regler eine auf Messwerten basierende Tabelle der Bremswege aufgeklebt.
Mit diesen Einstellungen kann man zwar einigermaßen vorbildnah Modellbahnbetrieb machen, aber von den vier Phasen eines Fahrspiels Anfahren, Beharrungsfahrt, Auslauf und Bremsen fehlt immer noch der Auslauf.
Seit einigen Jahrzehnten lag eine teilmontierte Roco BR 74 in meiner Bastelkiste. Sie hatte bereits einen Fauli, maßstäbliche Radsätze von Prkenny und etwas zusammengeschobene Zylinder, sogar ein zweites Gehäuse war vorhanden, um die Belpaire-ähnlichen Beulen vor dem Führerhaus zu entfernen. Ich nutzte schließlich einen ESU-Decoder und den Sound der BR 94, um die Lok für den Betrieb fertig zu machen. ESU ermöglicht eine sogenannte dynamische Bremse. Bei deren Betätigung wird der eingetragene Wert von CV 4 auf die Hälfte reduziert. Bei der BR 74 passte es gerade so, dass bei maximalem Wert von CV 4 (255) und auf 50 km/h begrenzter Vmax mein Standardbremsweg von 1 m aus 40 km/h zustande kommt. Damit zu fahren macht einen Riesen-Spass, wenn die unterschiedlichen Phasen des Fahrspiels auch akustisch passend untermalt sind. Man beschleunigt relativ lautstark bis zur gewählten Geschwindigkeit, danach folgt die leisere Beharrungsfahrt, man schließt den Regler (leises Schnuffeln), das Tempo reduziert sich etwas und schließlich das Bremsen, untermalt mit passenden Druckluftgeräuschen. Hat man zu früh gebremst, kann man zwischendurch natürlich auch wieder lösen.
Leider bin ich mit den Ergebnissen bei einer anderen Lok, dem bayrischen Glaskasten von Trix nicht so zufrieden, hier fällt der Bremsweg entweder im Vergleich zum Auslauf zu lang oder bei passendem Bremsweg der Auslauf zu kurz aus. Eine parametrierbare Einstellung für die dynamische Bremse müsste eigentlich bei jeder mechanischen Konfiguration zu brauchbaren Ergebnissen führen, gibt es aber bei ESU derzeit leider nicht.
Noch etwas zur Tastenbelegung: Die ist bei mir einheitlich und für jeden Gelegenheitslokführer per Aufkleber ersichtlich:
F0 Geräusch an/aus
F1 Licht vorne
F2 licht hinten
F3 Pfeife
F4 Pfeife kurz, bei BR 74 (dynamische) Bremse
F5 Läutewerk (optional)
F6 Luftpumpe
F7 Schlusslicht richtungsabhängig (optional)
F8 frei
Mit dem Lokprogrammer von ESU kann man das ziemlich bequem so einstellen. Geräusche, die mit dem Fahrgeräusch und diesen Sonderfunktionen nichts zu tun haben, werden gelöscht, um die Ladezeit der Soundprojekte zu verkürzen.
Gruß
Johannes
Noch ein Nachtrag: Ein Link zu einem älteren Beitrag bei DSO, in dem die Fotos der beklebten Freds noch sichtbar sind: https://www.drehscheibe-online…31404,6931404#msg-6931404
Zu dieser Zeit hatte ich die Bremswegtabellen noch nicht aufgeklebt. Obwohl es inzwischen Fredis mit ausreichend vielen Funktionstasten gibt, habe ich für die BR 74 mit der F4-Tasten-Bremse doch lieber einen Uhlenbrock-Fred genommen, weil dort die Funktionen optisch rückgemeldet werden. Das heißt, ich weiß über die Rückmeldung, ob die Bremse angelegt ist oder nicht. Wenn man, um sauber heranzufahren, mehrmals bremst und löst, weiß man ohne Rückmeldung nicht mehr, wie der aktuelle Status ist.
Nachdem ich die Roco-Lok der BR 74 nach den oben beschriebenen Maßnahmen in Betrieb genommen hatte, fuhr sie mit ihrem starren Fahrwerk nur sehr unwillig mit knurrendem Getriebegeräusch durch Überhöhungsrampen, aber auch ungewollte Gleisverwindungen und hat bei dieser und anderen Gelegenheiten gerne mal die Stromabnahme verweigert. Also habe ich mich an Lutz' Beiträge zum Thema Dreipunktlagerung bei Lokomotiven erinnert und ich muß sagen, es war gar nicht so schwer, die Lok, deren Zahnradgetriebe nur auf den Radsatz A wirkt, entsprechend herzurichten - noch nicht mal das Gehäuse musste runter: Untere Abdeckplatte abschrauben und aus dem Rahmen ausklinken; Kurbelzapfen des Radsatzes C aufschrauben; Radsatz C entnehmen; den Boden der vierkantigen Lagerrinne zu beiden Seiten hin keilförmig mit einer Rundfeile (Durchmesser etwa 1,5 mm, damit man die Flanken der Lagerrinne nicht vermurkst) bearbeiten; auch an der Abdeckplatte für Radstz C etwas Höhenspiel ermöglichen; Radsatz wieder einbauen, Kurbelzapfen ebenso, Abdeckplatte wieder drauf und fertig. Das war so einfach, weil Roco dem Radsatz B schon federbelastet Höhenspiel ermöglich hatte. Die Kuppelstangen habe ich entgegen Lutz' Rat nicht geteilt, weil ich nicht sicher war, ob ich mit der dabei drohenden Ungenauigkeit nicht das Optimum schon wieder überschritten hätte. Das Ergebnis zeigt, dass die Lok jetzt wunderbar läuft und die Stromabnahme fehlerfrei funktioniert.